Eine Aufforderung zur (Selbst-)Reflexion. Ausstellung zur kontextabhängigen gesellschaftlichen Bewertung individueller Entscheidungen.
Die Macherinnen dieser Ausstellung
Vera Bläsing und Sarah Manteufel, beide Mütter eines Kindes mit Down-Syndrom und engagiert im Bündnis #NoNIPT sowie in örtlichen Elternvereinen, sind die Macherinnen dieser Ausstellung: Sie haben sie für die Netzwerktagung 2024 inhaltlich geplant und gestalterisch umgesetzt, von der ersten Idee und der Themenauswahl, über die Suche nach Beispielen und Unterstützer*innen bis hin zur Umsetzung und Gestaltung dieser Ideen in Wort und Bild auf zehn Ausstellungsplakaten.
Dass sie diese Ausstellung überhaupt entwickelt haben, hat etwas mit ihrer Situation als Mütter von Kindern mit Behinderung in dieser Gesellschaft zu tun. Sie schreiben dazu:
„Bereits zu Beginn des Jahres 2024 stand fest: unsere Teilnahme an der Tagung wäre, wenn überhaupt nur spontan möglich. Nur wenn keine Schulkrisen, Krankheiten und andere Katastrophen dazwischenkämen. Und selbst ohne Krisenmodus: Familiäre Unterstützung für die Betreuung pflegebedürftiger Kinder zu finden ist eine Herausforderung. Um trotzdem einen Beitrag zur Tagung leisten und die Teilnehmenden an unseren alltäglichen Ableismuserfahrungen teilhaben lassen zu können, entstand die Idee dieser Ausstellung, die selbsterklärend sein und notfalls auch ohne uns klarkommen sollte.“
Die Idee hinter dieser Ausstellung
„Als Eltern behinderter Kinder erleben wir im Alltag immer wieder Situationen, in denen uns bewusst wird, dass viele Menschen – ja manchmal sogar wir selbst – Themen je nach Kontext unterschiedlich bewerten. Wir möchten mit dieser Ausstellung einige dieser Themen genauer beleuchten und jeweils 2 Sichtweisen gegenüberstellen: die Perspektiven einer nicht behinderten und die einer behinderten Person / eines pflegenden Elternteils. Durch die Gegenüberstellung dieser extremen Beispiele möchten wir dazu einladen, die eigene gegebenenfalls ableistische Sozialisierung wahrzunehmen, die eigene Haltung zu reflektieren und mit anderen zu diskutieren: Bewerte ich/bewerten wir wirklich mit zweierlei Maß? Warum ist das so? Was bräuchte es, um dies zu ändern? Von einigen der alltäglichen Belastungen, Diskriminierungserfahrungen und Kämpfe um gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung, aber auch von Menschen, die außerhalb des Kontextes Behinderung strukturelle Diskriminierung erfahren haben, möchten wir euch in dieser Ausstellung erzählen.“
Die Ausstellung hat daher aus gutem Grund den Titel der Netzwerktagung 2024 aufgenommen: „Mit zweierlei Maß?!“ Sie fordert zum Nachdenken über eine Gesellschaft auf, die individuelle Entscheidungen von Menschen sehr unterschiedlich bewertet, sie fördert oder abwehrt, je nachdem, ob die Menschen eine Behinderung haben oder nicht.
Und: Sie will Denkanstöße geben, sie will irritieren und aufrütteln und sie zwingt zur Selbstbefragung über das eigene Denken, das eigene Bewerten von persönlichen Lebensentscheidungen anderer, das in einer ableistischen Gesellschaft nicht frei sein kann von einer kontextabhängigen Perspektive. Und das gelingt ihr beinahe erschreckend gut.
Die 10 Ausstellungsplakate bieten eindrückliches Material an zu Themen wie „medizinische Indikation“ [für einen Schwangerschaftsabbruch], „soziale Gerechtigkeit“, „Exklusion, Inklusion und Elternwille“, „staatliche Unterstützung“,
„Lebenslanges Lernen und Leisten“, „reproduktive Selbstbestimmung“, „Ableismus und seine Dimensionen“ bis zu „Behinderungsparadox und Fürsorge“. Den Abschluss bilden Zitate aus der Orientierungsdebatte des Deutschen Bundestags im Jahr 2019.
Eine solche Ausstellung zu entwickeln und von der ersten Idee bis zu thematisch und gestalterisch exzellenten 10 Plakaten umzusetzen, ist eine Leistung, die an sich schon Hochachtung verdient. Noch dazu im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Themen, die herausfordernd sind, die einem selbst an die Nieren gehen und die dazu zwingen, sich manch Schwieriges ein-zugestehen. Und dies alles ehrenamtlich, neben einem ohnehin schon fordernden Alltag als berufstätige Frauen, als Mütter von Kindern mit und ohne besonderen Unterstützungsbedarf, die sich auch ehrenamtlich in Elternvereinen und zivilgesellschaftlichen Projekten engagieren.
Großer Anklang auf der Tagung!
Kein Wunder, dass das Tagungsteam begeistert war von der Idee und ihrer Umsetzung! Und kein Wunder, dass die Ausstellung unter den Tagungsteilnehmer*innen sehr großen Anklang fand und zu lebhaftem Austausch untereinander führte!
Eine Ausstellung zum Teilen!
Die gedruckten Plakate können beim Gen-ethischen-Netzwerk e.V. in Berlin für eigene Veranstaltungen ausgeliehen werden. Sie können dort abgeholt oder gegen Erstattung der Versandkosten auch zugesandt werden. Ansprechperson ist Jonte Lindemann ().
Alternativ können die Poster nachgedruckt werden. Die Druckdateien sind auf Anfrage bei #NoNIPT erhältlich ().
Wir freuen uns darüber, wenn die Poster weiter genutzt werden, ergänzt, neue konzipiert – und wir freuen uns über Rückmeldungen dazu!
Die Poster im Überblick
Ein Klick auf die Grafiken führt euch zu einer besser lesbaren Darstellung der Poster.










Die Macherinnen dieser Ausstellung

2013 wurde Vera Bläsing nach unauffälligem Ersttrimester-Screening Mutter eines Sohnes mit Trisomie 21. Aus eigenem Erleben weiß sie, was sie nach der Diagnose als hilfreich empfunden hat und was nicht, welche Sorgen sie und ihr Mann sich nach der Geburt gemacht haben und welche Herausforderungen der Alltag mit einem behinderten Kind in Deutschland tatsächlich mit sich bringt.
Im Juni 2018 hat sie die Selbsthilfegruppe BM 3X21 gegründet, in der sich Eltern von Kindern mit Down-Syndrom gegenseitig unterstützen, werdenden Eltern Peer-Beratung zum Familienalltag mit Down-Syndrom anbieten und sich für mehr Inklusion in ihrer Region einsetzen. Seit Oktober 2018 engagiert sie sich in verschiedenen Gruppen gegen die Kassenfinanzierung des nicht-invasiven Pränataltests (NIPT). Vera Bläsing gehört zu den Gründungsmitgliedern von #NoNIPT. Sie hat mit weiteren Aktivistinnen das bundesweite Onlineportal „Netzwerk Peer-Beratung nach NIPT“ entwickelt. Neben ihrem ehrenamtlichen Engagement und ihrer Tätigkeit als Familienmanagerin und Teilhabe-Durchboxerin für ihren Sohn arbeitet Vera Bläsing halbtags als projektleitende Architektin in einem Kölner Architekturbüro.

Sarah Manteufel ist Mutter von zwei Grundschulkindern sowie einer erwachsenen Tochter. Ihre zweite Tochter wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Sarah Manteufel ist Sozialpädagogin und hat Bildungswissenschaften studiert. Sie hat viele Jahre bei einem Beschäftigungsträger für Menschen mit Behinderung gearbeitet, zwei Jahre lang bei stern.de einen Blog zum Thema Inklusion, Down-Syndrom und zu Familienthemen geschrieben und 2023 zusammen mit ihrer erwachsenen Tochter als Herzensprojekt das Label „isociety“ gegründet. Sie ist im Elternverein KIDS Hamburg e.V. aktiv und engagiert sich von Beginn an im Bündnis #NoNIPT.
„Mir ist die Beteiligung im Bündnis #NoNIPT wichtig, da ich es nicht hinnehmen möchte, dass Kinder wie meine Tochter als vermeidbare Last stigmatisiert werden. Die Einführung des NIPT als Kassenleistung basiert auf einer vorurteilsbehafteten und in weiten Teilen abwertenden Vorstellung vom Leben mit dem Down-Syndrom und deren Familien und zugleich befördert sie diese. Dabei liegt es an uns als Mitglieder dieser Gesellschaft, diesen scheinbar harmlosen und dennoch folgenreichen Tendenzen etwas entgegenzuhalten. Wir laufen Gefahr, nur noch vermeintlich „leichte“ Kinder willkommen zu heißen, die den Anforderungen an unsere Leistungsgesellschaft zu entsprechen scheinen. Dabei ist dies zum einen eine hartnäckige Illusion und zum anderen auch faktisch nicht vorhersehbar. Es ist auch in diesem Kontext so wichtig zu betonen, dass Menschen mit Behinderung und deren Familien ausreichend Assistenz und Unterstützung für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erfahren sollten.“