Es gibt eine historische Tradition der Abwertung vieler verschiedener Körper als pathologisch, wenn sie nicht der männlichen, weißen und gesunden Norm entsprechen.
In die heutige Debatte um Pränataldiagnostik gehen diese tief verankerten Vorstellungen weiter ein, auch wenn sich die Koordinaten, welche Körper als „krank“ gelten, geändert haben – und auch immer weiter ändern.
Dass diese normierende Unterscheidung weiter gültig ist, zeigen die Formulierungen im Gendiagnostikgesetz. Hier werden genetische Untersuchungen vorgeburtlich nur zu „medizinischen Zwecken“ erlaubt. Medizinische Diagnostik heißt hier aber nicht, Therapien zu ermöglichen. Es geht um das Wissen, etwas über „genetische Eigenschaften des Embryos oder Fötus“ zu erfahren, die seine „Gesundheit beeinträchtigen“ (GenDG §15). Mit einer solchen generellen Unterscheidung zwischen medizinischen und nicht-medizinischen „Eigenschaften“ ist der Boden für eine eugenische Politik weiterhin bereitet.
Gegen eine solche Kritik eugenischer Kontinuitäten wird immer wieder vorgebracht, dass viele Schwangere solche Tests nicht aus einer behindertenfeindlichen Haltung in Anspruch nehmen, sondern weil sie nicht die Verantwortung für ein Kind mit einem erhöhten Sorgebedarf tragen wollen.
Feministisch ist es aber, zum Thema Sorge die eigentlich wichtigen Fragen zu stellen. Wir können nicht vermeiden, dass wir alle im Laufe unseres Lebens – auch oftmals völlig unvorhersehbar – immer wieder auf Hilfe und Unterstützung von anderen angewiesen sind, auch wenn viele erwachsene und „gesunde“ Menschen das verdrängen.
Immer neue Technologien werden entwickelt, die uns fälschlicherweise vormachen, wir könnten die Zukunft kontrollieren und individuell planen, wie viel Sorgearbeit auf uns zukommen soll. Statt dieser Illusion zu folgen und damit zu legitimieren, dass bestimmten Menschen das Recht auf Leben abgesprochen wird, geht es doch vielmehr darum, wie wir Sorgearbeit nicht individuell zuteilen, sondern kollektiv besser gestalten und gesellschaftlich umverteilen können.
Dr. habil. Susanne Schultz ist Politikwissenschaftlerin, Soziologin und gesundheitspolitisch engagierte Feministin.
Texte:
Susanne Schultz 2015: Kinderwunsch-Ökonomie und Kinderwunsch-Verstaatlichung. Ein Streifzug durch aktuelle Konfliktlinien in deutschen Kontexten, in: Kitchen Politics (Hg.): Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit. Biotechnologie, Reproduktion und Familie im 21. Jahrhunderts, edition assemblage, Münster, S. 106-126.
Link-Tipp von #NoNIPT:
https://gen-ethisches-netzwerk.de/vermeidung-oder-rechtfertigung