Noch in dieser Legislaturperiode soll ein Gesetzentwurf zur Änderung des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) in den Deutschen Bundestag eingebracht werden, der eine bessere Beratung der Schwangeren vor und nach Inanspruchnahme eines NIPT sicherstellen soll.
Bessere Beratung? Sehr gerne! Denn um eine flächendeckende, ergebnisoffene und vorurteilsfreie Beratung sicherzustellen, muss noch einiges passieren. Und dennoch löst eine Verbesserung der Beratung nicht die mit einer Kassenfinanzierung des NIPT verbundene Botschaft auf.
Oft wird mit „sozialer Gerechtigkeit“ und einem „gleichberechtigten Zugang zur Ausübung der Selbstbestimmung“ argumentiert, um die Notwendigkeit einer Kassenfinanzierung zu begründen.
Arztkosten und Kosten bei Schwangerschaft können jedoch bereits jetzt bei der Einkommensteuererklärung als Krankheitskosten geltend gemacht werden. Bei einem verheirateten Paar mit gemeinsamen Einkommen von bis zu 15.340 € und bis zu zwei Kindern, liegt die zumutbare Belastungsgrenze hierfür zurzeit bei 2% des Einkommens, also 306,80 €, bei kinderlosen Verheirateten sogar bei 4%, also 613,60 €. Kosten für Brillen, Zahnersatz, Physiotherapie oder Akupunktur bis zu dieser Höhe nehmen wir also für die geringste Einkommensstufe als zumutbar hin, die Kosten eines NIPT von ca. 250 € für Test, Laborkosten, Blutentnahme und Beratung durch den Arzt / die Ärztin jedoch nicht? DAS ist dann plötzlich „sozial nicht gerecht“?
Bereits jetzt nehmen Schätzungen zufolge 400.000 Schwangere jährlich einen NIPT als IGeL-Leistung in Anspruch. Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) und die Hersteller prognostizieren einen starken Anstieg durch die Kassenzulassung. Bei 250 € pro Test macht das jährlich mindestens 100.000.000 €, die die Versicherten für die Fahndung nach den Trisomien 13, 18 und 21 im mütterlichen Blut künftig zahlen sollen.
Was impliziert die Forderung, dass der NIPT unabhängig vom Einkommen allen zugänglich sein müsse? Dass Frauen mit geringem Einkommen sonst nicht die Chance haben, die Geburt eines Kindes mit Trisomie zu verhindern, Frauen mit besserem Einkommen jedoch schon? Warum halten große Teile der Gesellschaft ein Kind mit Trisomie 21 für nicht zumutbar, obwohl die Wenigsten einen Menschen mit Down-Syndrom kennen?
Der Ruf nach einer Kassenfinanzierung des NIPT ist in meinen Augen ein Symptom der strukturellen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in unserem Land. Über Jahrzehnte wurde uns beigebracht, Menschen mit Behinderung als nicht-gleichwertig anzusehen, insbesondere Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Befeuert wird die Angst vor Menschen mit Behinderung durch ihre jahrzehntelange Separation in Parallelwelten wie Förderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen, die uns Nichtbehinderten die Chance nimmt, uns im Alltag mit Menschen mit unterschiedlichsten körperlichen und kognitiven Voraussetzungen auseinanderzusetzen und Behinderung als etwas Normales zu akzeptieren. Knapp 8 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland! Das ist fast jeder zehnte der 83 Millionen Einwohner Deutschlands! 1 von 700 Lebendgeburten weltweit ist ein Kind mit Down-Syndrom! Auch das ist also nichts Seltenes oder Ungewöhnliches. In den allermeisten Fällen auch kein großes Unglück, übrigens.
Der Gesetzgeber könnte andere, weniger symbolträchtige Maßnahmen beschließen, um einkommensschwache Familien zu entlasten: die Bekämpfung prekärer Arbeitsbedingungen, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, einen zusätzlichen Monat Kindergeld oder einen Babybonus für einkommensschwache Familien, um sie bei der Anschaffung des erforderlichen Babyequipments zu unterstützen. Zu teuer? Wer soll das bezahlen? Ach, plötzlich ist’s zu teuer? Da nur ein Teil der Schwangeren als einkommensschwach gilt, wäre es wesentlich günstiger! Die Entlastung würde dort ankommen, wo sie dringend gebraucht wird. DAS wäre sozial gerecht! UND hätte nicht den üblen Beigeschmack eines staatlich geförderten Screenings auf Trisomien!
Ich habe bereits mehrere Schwangere nach einem auffälligen NIPT-Befund beraten. Ich verurteile niemanden dafür, einen NIPT in Anspruch zu nehmen. Er wird aggressiv beworben und scheint so selbstverständlich geworden zu sein! Schwangere, die der Meinung sind, dass ihnen das mit dem NIPT gewonnene „Wissen“ nützt, sollten den NIPT, meiner Meinung nach, auch weiterhin auf eigene Kosten als IGeL-Leistung in Anspruch nehmen. Nach einer transparenten, vorurteilsfreien Beratung.
Da dem vermeintlichen Nutzen des NIPT gefühlt kein Risiko gegenübersteht, besteht die Gefahr, dass keine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Möglichkeit eines auffälligen Befundes erfolgt. Viele Schwangere wollen sich durch den NIPT nur bestätigen lassen, dass keine Trisomie vorliegt. Diese Erwartung erfüllt sich aber nicht bei jeder Frau! Vor der Inanspruchnahme sollten sich Schwangere bewusst sein, dass sie im Fall eines auffälligen Befundes möglicherweise in große seelische Not geraten können, auch durch den im persönlichen Umfeld eventuell entstehenden enormen Druck. Aus der vermeintlichen Selbstbestimmung wird dann schnell eine Fremdbestimmung durch die Angst, die Erwartungen des Partners, der Familie oder der Gesellschaft nicht zu erfüllen.
Vera Bläsing ist Architektin und Mama von zwei wilden Wuseln. Sie leitet die Down-Syndrom-Elterninitiative „BM 3X21“ im nördlichen Rhein-Erft-Kreis, die sie 2018 initiiert hat. 2019 hat sie downsyndromberlin e.V. bei der Organisation der Demo und der Kundgebung #InklusionStattSelektion unterstützt. Über ihre Familie sagt sie:
Wir sind als Familie nicht besonders glücklich oder besonders unglücklich. Auch unser Sohn mit Down-Syndrom ist weder besonders glücklich noch besonders unglücklich. Wir erleben als Familie bereichernde Momente und anstrengende. Unser Sohn ist wie seine Schwester Teil unserer Familie, unseres Lebens. Wir können uns kein anderes Leben vorstellen.
(c) Foto: Anna Sadoian
Link-Tipps von #NoNIPT:
www.bm3X21.de
https://nonipt.de/hintergruende/zeitstrahl-kassenzulassung-des-nipt/#story-1848 (Demo in Berlin)
https://nonipt.de/hintergruende/zeitstrahl-kassenzulassung-des-nipt/#story-1856 (Kundgebung)