Uns fällt auf: Politiker*innen verweisen in Debatten zur „Kassenfinanzierung des NIPT“ oft auf das Argument der sozialen Gerechtigkeit. Für pflegende Angehörige behinderter Kinder fordert diese öffentlich fast niemand.
Sarah Manteufel, Bündnis #NoNIPT: Politiker*innen ist bewusst, wie wir als Gesellschaft über Behinderung denken!
Bei der Orientierungsdebatte am 11. April 2019 in Berlin hörte ich das deutliche Bekenntnis der 38 Abgeordneten zu sozialer Gerechtigkeit und Inklusion. Heute sind wir auf dem Weg zum Massenscreening.
Der Bluttest zur Erkennung einer Trisomie 13, 18 und 21 wird als vermeintlicher Fortschritt diskutiert. Wie der „vergiftete Apfel“ im Märchen von Schneewittchen wird er verheißungsvoll angepriesen und mit der Begründung der sozialen Gerechtigkeit als „besserer Test“ von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert.
Doch aus welcher Motivation heraus wird in der Politik eigentlich ausgerechnet in der Lebensphase „Schwangerschaft“ der sozialen Gerechtigkeit plötzlich ein so hoher Stellenwert beigemessen? Und: Warum setzen sich Befürworter*innen der Kassenzulassung nicht mit der gleichen Entschlossenheit für bessere Bedingungen für pflegende Eltern ein? Oder für soziale Gerechtigkeit für Menschen mit Behinderung?
Dieser Test hält der Gesellschaft den Spiegel vor und zeigt die weit verbreitete ableistische Sozialisierung.
Simone Brugger, Petition #MehrAls28Tage: Tag 29. Ab heute pflege ich wie jeden Tag. Nur ohne Pflegegeld.
Ich pflege mein chronisch krankes, behindertes Kind. 24/7. Auch und gerade im Krankenhaus. Aber: Ab Tag 29 im Krankenhaus wird uns das Pflegegeld gestrichen. „Weil Personal die Pflege übernimmt“, sagt das Gesetz.
Die Realität sieht anders aus. Ich pflege. Immer. Jedes Jahr kommen neue Diagnosen hinzu. Mehrfach im Jahr bin ich deshalb als Begleitperson mit meinem Kind stationär. Verbringe viele Wochen im Krankenhaus oder in der Rehaklinik. Und pflege. Rund um die Uhr!
Die Herzfrequenz schwankt, der Monitor schlägt Alarm. Ich stimuliere das Herz, lagere um, drücke erneut den Notfallknopf und warte, dass eine Krankenschwester unterstützt. Geschafft. Allein, weil niemand kam.
Das Personal kann die Pflege meines Kindes nicht allein gewährleisten. Ich schon, sagen sie. Selbst die Medikamente für mein Kind bringe ich mit. Ich pflege. Ohne Pause, oft ohne Schlaf und tagsüber auf einem Holzstuhl sitzend.
Guten Morgen. Tag 29. Ab heute pflege ich wie jeden Tag. Nur ohne Pflegegeld. Ohne eigenes Bett. Ohne Privatsphäre. Nur mein Kind, meine Klappliege und ich.
M. Kaiser, „Bist du behindert, oder was?“ (S. 64):
„Bei einem NIPT, der eine Trisomie feststellt, besteht die Möglichkeit für einen Abbruch im Rahmen der medizinischen Indikation. Damit sind persönliche Situationen und Gründe gemeint, die das körperliche und psychische Wohlergehen der Schwangeren gefährden könnten. In der vorgeburtlichen Diagnostik wird also gesagt, dass ein Leben mit einem Kind mit einer Trisomie so schwer sei, dass ein Abbruch in Ordnung ist. Statt darüber nachzudenken, wie wir unsere Gesellschaft und unser Leben so gestalten können, dass alle Familien mit allen Kindern ein gutes, selbstbestimmtes Leben führen können.“
Bundestag.de, Orientierungsdebatte im Bundestag am 11.04.2019
https://www.bundestag.de/dokumente/…
SV-Anhörung im Gesundheitsausschuss am 09.10.2024
https://www.bundestag.de/dokumente/…
Petition „Pflegegeld für behinderte Kinder auch bei stationärem Aufenthalt über 28 Tage! #MehrAls28Tage“
https://innn.it/mehrals28tage
Ausstellungs-Poster als barrierearmes PDF:
https://nonipt.de/wp-content/uploads/2024/11/Mit-zweierlei-Mass_Soziale-Gerechtigkeit.pdf