Uns fällt auf: Ableismus hat mehrere Dimensionen. Menschen mit Behinderung erleben Ableismus in Alltagssituationen. Manche ableistischen Werte und Normen internalisieren sie. Und: Ableismus hat Tradition.
Alltags-Dimension
Menschen mit Behinderung treffen im Alltag häufig auf Ableismus – in gewöhnlichen Alltagssituationen, aber auch im gesundheitlichen, beruflichen oder behördlichen Kontext. Allgemein kann sich Ableismus dabei unterschiedlich zeigen.
Es gibt zahlreiche Beispiele für abwertenden aber auch für aufwertenden Ableismus. In dieser Ausstellung haben wir einige Beispiele zusammengestellt. Es gibt zahllose weitere Beispiele für Situationen, in denen Menschen Personen mit Behinderung mit bestimmten Vorannahmen begegnen, ohne die Personen zu kennen oder sie direkt zu fragen.
Zum Beispiel danach, was sie können oder nicht. Oder sogar Annahmen, was sie dürfen oder nicht. So wurden zum Beispiel einem jungen Mann mit Down-Syndrom in einem Drogeriemarkt keine Kondome verkauft. Weitere Beispiele für die Alltags-Dimension von Ableismus werden von der Schauspielerin Madison Tevlin im Video „Assume that I can“ von CoorDown sehr eindrücklich erzählt.
Internalisierungs-Dimension
Unsere Ausstellung beinhaltet auch mehrere Beispiele für Internalisierung.
Personen mit Behinderung internalisieren durch ihre Sozialisierung und Erziehung, durch die ihnen tagtäglich begegnenden Ableismus-Erfahrungen, die sie umgebenden ableistischen Normen und Werte und verinnerlichen diese. Sie können so ein Teil ihrer Persönlichkeit werden.
Was andere ihnen nicht zutrauen, trauen sie sich selbst auch nicht zu. Sie halten sich selbst für „dumm“ oder unfähig.
Auch Eltern kann es schwer fallen nicht zu übersehen, dass ihr Kind – bei all den Diskriminierungserfahrungen und von außen herangetragenen Diagnosen und „Therapiebedürftigkeiten“ – gut so ist, wie es ist.
Auch der öffentliche Diskurs, die Darstellung von Behinderung zum Beispiel in Artikeln, Filmen, Berichterstattungen und Fernsehsendungen, festigt weit verbreitete Vorannahmen eher, als dass er dazu beiträgt Ableismus zu bekämpfen. Gleiches gilt für die Kassenfinanzierung des NIPT.
Geschichts-Dimension
Auch weit zurückliegende Ereignisse und seit Generationen festgefahrene Traditionen und Strukturen – wie beispielsweise das in Deutschland etablierte System der Sonderschulen und Werkstätten – befeuern Ableismus. Es war halt schon immer so.
Marietheres Triebe schreibt in ihrer dokumentarischen Analyse „NS-Ideologie in der NSLB-Zeit-schrift »Die deutsche Sonderschule« 1934 –1944“:
„Sie unternahmen den Versuch Kindern zu vermitteln, dass sie trotz ihres ‚Deutschseins‘ ‚minderwertig‘ und ‚unbrauchbar‘ seien, und dass sie es dem Staat und der Volksgemeinschaft schuldeten, sich zwangssterilisieren zu lassen. Hauptaufgabe der Sonderschulen war die ‚Erziehung […] zu rassenhygienischem Verantwortungsbewusstsein!‘, bei ihrer Entlassung solle allen Schüler*innen klar sein, dass ‚geschädigtes Erbgut nicht an Nachkommen weitergegeben werden soll‘“ (S. 60).
Mehr zum Thema in lesenswerten Beiträgen auf TAZ.de und verfassungsblog.de.
Ausstellungs-Poster als barrierearmes PDF:
https://nonipt.de/wp-content/uploads/2024/11/Mit-zweierlei-Mass_Ableismus-und-seine-Dimensionen.pdf