Selbstbestimmung heißt auch, dass Frauen mit gutem Gewissen selbst bestimmen können, ihr Kind mit Trisomie zu bekommen.“„Durch die Kassenfinanzierung wird der Druck auf Frauen steigen, Kinder mit Trisomie abzutreiben. Und wie geht es Frauen damit?“ Ute Berger
Als Mutter einer Tochter mit Down Syndrom ist es kaum zu ertragen, dass ein Großteil der Gesellschaft der festen Überzeugung ist, dass ein Leben mit einem Kind mit Trisomie 21 ein schweres Schicksal ist, das man keiner Frau zumuten kann.
Auf diesem von Vorurteilen geprägten Narrativ fußt die ganze Diskussion über den Test. Unser Leben ist ziemlich normal, oft schön, oft anstrengend. Wie das Leben mit zwei Kindern eben so ist. Klar muss meine Tochter mehr gefördert werden, es ist nicht einfach, einen guten Platz für sie in Kita, Schule und Freizeitangeboten zu finden. Auch sonst gibt es mehr zu organisieren. Das kostet Zeit. Viel mehr leide ich aber unter den Sorgen, die ich mir um die Zukunft meiner Tochter mache. Wie soll sie sich frei entfalten und ihr Potenzial entwickeln in einer Gesellschaft, die es richtig findet und Geld dafür ausgibt, Menschen wie sie zu verhindern?
Die Kassenzulassung des Tests ist für mich ein Beweis für die tief verankerte Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, die ganz besonders Menschen mit so genannter geistigen Behinderung trifft. Wir sind so sehr an diese Diskriminierung gewöhnt, dass sie vielen nicht einmal auffällt. Aber mal ehrlich: Was gibt es diskriminierendes als das Lebensrecht einer Gruppe von Menschen in Frage zu stellen?
Natürlich bin ich auch für die Selbstbestimmung der Frau und respektiere jede individuelle Entscheidung von Frauen und Paaren. Die Kassenzulassung des Tests kommt aber eine Empfehlung der Gesellschaft gleich, den Test zu machen. Und dann?
Wie selbstbestimmt ist die Entscheidung einer Frau für oder gegen den Bluttest, wenn sie das Gefühl hat, es wird erwartet, den Test zu machen? Wie selbstbestimmt ist die Entscheidung für oder gegen ein Kind mit Trisomie, wenn die werdende Mutter fürchtet, um jede Hilfe kämpfen zu müssen und keine Schule zu finden, die ihr Kind mit offenen Armen aufnimmt? Wie selbstbestimmt ist die Entscheidung, wenn die Frau dann nicht einmal über diese Ungerechtigkeiten klagen darf, weil sie ja den Test hätte machen können… Und wie selbstbestimmt ist die Entscheidung, wenn die Frau aufgrund mangelnder Inklusion gar keine Menschen mit Down-Syndrom kennt und so aufgrund weit verbreiteter Vorurteile über das Leben mit einem Kind mit Trisomie entscheidet? Schon heute ist die Entscheidung FÜR das Kind mit Down-Syndrom schwieriger als die Entscheidung gegen das Kind, weil gerade Mediziner*innen in vielen Fällen davon abraten und das Umfeld oft Druck macht. Die Kassenzulassung des Tests wird diesen Druck verstärken.
Und wer fragt eigentlich, wie es Frauen bei der Entscheidung für oder gegen ihr Kind geht? Wer fragt, wie es Frauen nach der Entscheidung und mit dem Erlebnis einer Abtreibung geht, mit dem sie ihr ganzes Leben leben müssen? Gibt es Studien dazu?
Im Grundgesetz steht, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Im Jahr 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich damit zur Umsetzung von Inklusion verpflichtet. Sehr weit sind wir nicht gekommen. DAS muss ich ändern. Erst wenn die Diskriminierung aufhört, können Frauen selbstbestimmte Entscheidungen treffen.
Oder geht es am Ende nur um Geld? Geld, das Herstellerfirmen verdienen wollen? Geld, das Krankenkassen vielleicht sparen wollen? Auch Inklusion kostet Geld, das die Politik anscheinend nicht ausgeben will.
Viel Geld in Inklusion zu stecken wäre eine gute Investition – für uns alle. Das Leben ist nicht fair und voller Überraschungen. Kein Test der Welt befreit uns von der Gefahr, einen Unfall zu haben, eine schwere Krankheit zu bekommen oder im Alter auf Hilfe angewiesen zu sein. Wie schön wäre es zu wissen, dass wir auch dann wertgeschätztes Mitglied unserer Gesellschaft zu bleiben, die alles dafür tut, dass alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können – egal in welche Verhältnisse sie geboren wurden, wie schnell, langsam, groß, klein, hell, dunkel, dick, laut, leise, alt, krank oder gesund sie sind. Es geht um die Frage, in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben wollen. Ich wünsche mir eine inklusive Gesellschaft, in der es normal ist verschieden zu sein, in der Vielfalt als Gewinn gesehen wird, in der niemand diskriminiert wird – für meine beiden Töchter, für mich und alle anderen Menschen. Es gibt viel zu tun. Packen wir’s endlich an.
Ute Berger ist Kommunikationsdesignerin. Sie hat viel Zeit in das Design der #NoNIPT-Webseite gesteckt und jede einzelne Stimme gestaltet. Warum? Weil sie eine elfjährigen Tochter mit Down-Syndrom hat und sehr froh ist, dass sie damals KEINEN Test auf Trisomien gemacht hat, sich das Entscheidungsdilemma erspart hat und überrascht wurde, wie normal ein Leben mit Kind mit Trisomie 21 sein kann.
Link-Tipps von #NoNIPT:
https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/trisomie-bluttest-wieviel-wissen-ertraegt-eine-mutter-a-1287673.html Wie viel Wissen erträgt eine Mutter? Artikel über das Entscheidungsdilemma einer Frau nach positivem Ergebnis Zitat: „Ich war alleine mit einer Verantwortung, die eigentlich kein Mensch tragen kann.“
https://www.medienwerkstatt-franken.de/video/film-praenataldiagnostik-schwangerschaft-downsyndrom/?fbclid=IwAR0nbprb9zDT1sfDO4jX6IJ4cR1fvp1IbgO3vtTDVmPRsxFSiV_BrstZots Habt ihr das nicht vorher gewusst? Die Dokumentation geht der Frage nach, wie selbstbestimmt die Entscheidung Schwangerer für Pränataldiagnostik und gegebenenfalls für oder gegen ein behindertes Kind ist. Sehr sehenswert!
https://www.medienwerkstatt-franken.de/2020/04/14/doku-film-zum-thema-praenataldiagnostik/ Interview mit der Regisseurin der Dokumentation, die Mutter eines Kindes mit DS ist.