Psychosoziale Beratung kann NICHT das eigentliche Problem lösen!

Vorweg: Psychosoziale Beratung ist unverzichtbar und von großer Bedeutung für werdende Eltern, die sich in einer existentiellen Konfliktsituation befinden und sich aufgrund eines auffälligen pränataldiagnostischen Befundes für oder gegen die Fortsetzung einer – erwünschten – Schwangerschaft entscheiden müssen. Beratung kann ihnen Raum und Zeit bieten und professionellen Beistand bei ihrer Suche nach einer Entscheidung, mit der sie vor dem Hintergrund ihrer Lebenssituation, ihrer Ressourcen, ihrer Biografien und Überzeugungen am ehesten werden leben können.

Deshalb hat der Gesetzgeber für solche Situationen auch einen Rechtsanspruch auf Beratung (§ 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG)) geregelt und verpflichtet die Ärzt*innen, auf Beratungsangebote hinzuweisen und an Beratungsstellen zu vermitteln (§ 2a SchKG).

ABER: In der Intimität des Beratungszimmers kann man nicht die ethischen Debatten über die Kassenzulassung eines gesellschaftspolitisch umstrittenen Tests führen, um die sich Gesetzgeber wie große Teile der Gesellschaft seit der Markteinführung des NIPT 2012 drücken!

Und schon gar nicht kann psychosoziale Beratung die fatale Botschaft „wegberaten“, die die Kassenfinanzierung des NIPT letztlich an die werdenden Eltern transportiert: Kinder mit Trisomien können heutzutage vermieden werden. Es ist vernünftig und verantwortlich, den Test zu machen – die Solidargemeinschaft der Versicherten übernimmt dafür die Kosten. Eine solche Botschaft kann noch so viel und noch so qualifizierte ergebnisoffene Beratung nicht aus der Welt schaffen – genauso wenig wie den auch jetzt schon bestehenden Rechtfertigungsdruck auf Eltern, die mit einem Kind mit Behinderung leben.

Die Idee mancher Politikter*innen, die Beratung noch stärker im Gendiagnostikgesetz (GenDG) zu verankern, gewissermaßen als Ausgleich für die umstrittene Kassenzulassung des Tests, ist kein Ausweg aus dem Dilemma, das die Kassenfinanzierung schafft. Sie ist eher ein Zeichen dafür, dass der Gesetzgeber seine Steuerungsverantwortung nicht wahrnimmt. Statt eine ernsthafte politische Debatte über die Folgen dieser Kassenzulassung zu führen – unter gleichberechtigter Mitwirkung von Menschen mit Behinderung und ihren Familien – und statt den Zugang zu diesem und weiteren Tests zu regeln, überlässt er es dem freien Markt und dem geschickten Marketing der Testhersteller*innen.

Stand: 29.08.2021