Offener Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn

Dunkelblaue Schrift auf einem hellgrauen Quadrat: 01.10.2021: Offener Brief 
an Gesundheitsminister 
Jens Spahn. Es gibt viele Gründe, die Kassenzulassung des NIPT
zu beanstanden! Wir bitten Sie: Setzen Sie sich dafür ein, dass die Debatte zur Pränataldiagnostik unter Einbeziehung der kritischen Stimmen der Zivilgesellschaft wieder aufgenommen wird.

01.10.2021 – Offener Brief:

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

in Ihrem Ministerium steht – nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) am 19. August – mit der sog. Nicht-Beanstandung der letzte Schritt im Verfahren zur Kassenzulassung des Nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) auf Trisomien bevor.

Wir, das Bündnis #NoNIPT gegen die Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomien, finden:
Es gibt viele gute Gründe, die Kassenzulassung zu beanstanden!

Unser Bündnis #NoNIPT ist ein Zusammenschluss verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen, Organisationen sowie Einzelpersonen, die eine kritische Position gegen die Kassenzulassung des NIPT verbindet:

Wir befürchten, dass einerseits der Erwartungsdruck auf Schwangere zunehmen wird, diesen Test auch zu machen, wenn er von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Zum anderen wird sich auch der ohnehin schon bestehende Rechtfertigungsdruck auf Familien, die mit einem Kind mit Behinderung leben, noch weiter erhöhen.

Zudem bestehen erhebliche sachlich-wissenschaftliche Bedenken gegen den Beschluss des G-BA. Es ist nicht richtig, dass der Bluttest prinzipiell eine Fruchtwasserpunktion ersetzen kann. Zudem hat ein Screening auf das Down-Syndrom zwangsläufig viele falsch-positive Befunde zur Folge – faktisch hat der G-BA ein solches Screening auf das Down-Syndrom beschlossen.

Vor allem aber ist die Botschaft der Kassenleistung an die werdenden Eltern fatal: Kinder mit Down-Syndrom sind vermeidbar – und daher auch zu vermeiden. Für werdende Eltern kommt die Kassenfinanzierung einer Empfehlung für den Test gleich. Und das, obwohl eine eindeutige medizinische Indikation nicht festgeschrieben werden konnte.

Als Bündnis #NoNIPT haben wir die Kampagne „100 Stimmen für #NoNIPT“ gestartet, um auch den kritischen zivilgesellschaftlichen Stimmen Gehör zu verschaffen. Denn sowohl der Beschluss des G-BA zur Kassenfinanzierung des NIPT als auch die Untätigkeit des Parlaments seit der Orientierungsdebatte zu Pränataldiagnostik im April 2019 blenden die langjährige breite zivilgesellschaftliche Kritik komplett aus. Kritik an Pränataldiagnostik wird im öffentlichen Diskurs meist verkürzt und im Widerspruch zur Selbstbestimmung stehend dargestellt.

Unsere Kampagne war erfolgreich: In kürzester Zeit hat sich eine Vielzahl von Wissenschaftler*innen, Feminist*innen und Kunstschaffenden, von Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien, sowie kritische gesellschaftspolitische Verbände und Aktivist*innen der Selbsthilfe an der Kampagne beteiligt. Sie alle setzen sich für eine vielfältige Gesellschaft ein und positionieren sich deshalb gegen die Kassenzulassung des NIPT.

Wir bitten Sie:
Setzen Sie sich dafür ein, dass die begonnene Debatte zur – selektiven – Pränataldiagnostik wieder aufgenommen wird, und zwar unter Einbeziehung der kritischen Stimmen der Zivilgesellschaft. Lassen Sie nicht zu, dass die Solidargemeinschaft eine Kassenleistung finanziert, die keinen medizinischen Nutzen hat und das ableistische Bild auf Menschen mit Behinderung manifestiert. Setzen Sie sich dafür ein, dass die eigentliche Frage endlich politisch beantwortet, wird: Selektive Pränataldiagnostik – wollen wir das wirklich?

Bitte beanstanden Sie!

Für Rückfragen, Hintergrundgespräche und Austausch stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Eine Broschüre zu unserer Kampagne „100 Stimmen für #NoNIPT“ liegt für Sie diesem Schreiben bei. Eine ausführliche Begründung unserer Kritik an der Kassenzulassung des NIPT finden Sie auf unserer Homepage www.nonipt.de.

Mit freundlichen Grüßen
Sarah Manteufel

KIDS Hamburg e.V.
Kompetenz- und Infozentrum Down-Syndrom
für das Bündnis #NoNIPT

Anlage:
Broschüre „Selektive Pränataldiagnostik – Wollen wir das wirklich?“ (PDF)